Lost history – shared memories: Deportationen in der Sowjetunion aus der russlanddeutschen und tschetschenischen Perspektive
Eine Webdokumentation von Alexej Getmann, Edwin Warkentin und Marit Cremer
Seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten kommt die Mehrheit der Zuwanderer aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Wenn die Gründe ihrer Zuwanderung auch vielfältig sind, so teilen viele von ihnen doch ähnliche Kollektiverinnerungen. Ihre Eltern und Großeltern waren aufgrund ihrer jeweiligen ethnischen Zugehörigkeit unter Stalin pauschal der Kollaboration mit der deutschen Wehrmacht verdächtigt und nach Zentralasien und Sibirien deportiert worden. Insgesamt 2,2 Millionen Sowjetbürger*innen gerieten während des deutschen Angriffskrieges von 1941 bis 1944 so zwischen die Fronten von Nationalsozialismus und Stalinismus. Zu ihnen gehörten Sowjetdeutsche, Griech*innen, Karatschaier*innen, Balkar*innen, Kalmük*innen, Tschetschen*innen, Ingusch*innen, Meschet*innen, Kurd*innen, Krimtatar*innen, Bulgar*innen, Armenier*innen u.a.
Die Erinnerungen an die erlebten traumatischen Ereignisse während der Deportation, Zwangsarbeit und Stigmatisierung als Volksfeinde verschwanden aus Angst vor weiteren Strafen hinter einer Mauer des Schweigens. Den nachfolgenden Generationen wurden unbewusst die erlittenen Verletzungen und Ängste weitergegeben. In ihren Biografien sind die sozialen und psychischen Folgen der Gewalt an ihren Vorfahren auch heute noch ablesbar. Die Aufarbeitung dieses Kapitels der sowjetischen Geschichte ist noch längst nicht abgeschlossen und betrifft heute einen bedeutenden Teil der Bevölkerung Deutschlands.
Während das stalinistische Regime versuchte, Ethnien, denen ein Interesse am Sieg der Wehrmacht unterstellt wurde, durch Deportation in abgelegene Gebiete von der Front fernzuhalten, versuchte das Deutsche Reich, mit der Sowjetmacht unzufriedene Gruppen für Kriegsverbrechen und den Holocaust zu vereinnahmen.
Zu den zahlenmäßig größten unter Stalin deportierten Ethnien gehörten 1,2 Millionen Sowjetdeutsche, von denen 1941 etwa 80 Prozent zwangsumgesiedelt und auch alle anderen in den Folgejahren einem administrativen Überwachungsregime unterstellt und zur Zwangsarbeit mobilisiert wurden.
Drei Jahre später, 1944, wurden praktisch alle 387.000 Tschetschen*innen, 91.000 Ingusch*innen sowie weitere Ethnien aus dem Kaukasus und dem Schwarzmeergebiet unter dem gleichen Vorwand einer angeblichen Kollaboration mit der deutschen Wehrmacht nach Zentralasien deportiert. Dort trafen sie auf die zuvor deportierten Deutschen und zahlreiche weitere verbannte ethnische Gruppen.
Eine Kooperation des Kulturreferats für Russlanddeutsche (Edwin Warkentin), Akademie am Tönsberg (ehemals Institut für Migrations- und Aussiedlerfragen – Heimvolkshochschule St. Hedwigs-Haus) (Dr. Nike Alkema), MEMORIAL Deutschland (Dr. Marit Cremer).
Finanziert durch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)